Du fragst, wer in Hipana hinter den Morden steckt. Ich finde, dass das eine gute Frage ist. Wer will so viel Böses gegen meine Familie tun, obwohl wir selber so friedlich sind?
Über die Jahre ist das Böse stärker geworden in meinem Dorf. Ich kann es spüren, seit wir angekommen sind. Das Böse in Hipana hat eine Geschichte, sie reicht weit zurück. Als ich ein Kind war, wurde einmal ein neues Haus gebaut. Die Erwachsenen hoben die Löcher für die Holzpfähle aus, und ich spielte mit der Erde und dem Sand. Ich fand zwei kleine Dosen, die tief vergraben waren, randvoll mit verklumptem schwarzem Pech. Ich warf sie einfach weg, aber ich erzählte auch meinem Großvater José davon, der damals der Häuptling war. Er war nicht mal überrascht. Er sagte, dass er die Döschen schon lange in seinen Träumen gesehen hatte, sie aber nirgendwo finden konnte.
Solches Gift wird tief unter der Erde vergraben, und die Menschen beginnen deswegen Streit. Die jungen Männer prügeln sich um die Mädchen, Eheleute entzweien sich ohne Grund. Aber niemand weiß, wer diese Dosen vergraben hatte, ob es ein Zauberer von flussaufwärts oder von flussabwärts war. Wir wissen nur, dass es immer viel Streit in Hipana gegeben hatte, irgendwelche Beschuldigungen, irgendwelche Gerüchte. Nie weiß man so etwas ganz genau.
Selbst wenn ein Giftmord geschieht, kann keiner sagen, wer der Mörder ist. Wir wissen nur, dass er unter uns lebt. Ist es ein Mann oder eine Frau? Alt oder jung? Der Mörder besucht unsere Feste und sitzt im Gemeindehaus, morgens und abends, beim Frühstück und beim Abendessen mit dem ganzen Dorf. An einem geheimen Ort versteckt er sein Gift.
Dzuliferi Huhuteni, Schamanenlehrling
Auszug aus dem Buch „Der Sohn des Schamanen“