Werden die Goldsucher die Fische vergiften?

Ich glaube, dass das Goldsuchen schnell außer Kontrolle geraten kann. Wenn einer in Hipana Gold oder Diamanten findet, meinst du nicht, dass es sich herumsprechen wird? Am Ayari-Fluss leben gar nicht genug Männer, um das ganze Gold aus der Erde zu holen. Also kommen erst kleine Gruppen aus anderen Orten an, dann kommende Tausende Männer, und du glaubst doch nicht etwa, dass sie sich in unseren Dörfern respektvoll verhalten?

Vielleicht tragen sie Waffen und stehlen unsere Mädchen. Sie ziehen in unsere Dörfer und richten ein riesiges Durcheinander an. Vielleicht wollen sie uns erschießen. Die Goldgräber wühlen den Boden der Flüsse auf, und sie verschmutzen das Wasser, bis die Fische nicht mehr kommen.

Also ist das eine Frage, die nicht nur Hipana betrifft. Wenn ein Dorf am Ayari das Goldgraben genehmigt, ist das eine wichtige Entscheidung über die Zukunft aller Dörfer. Dann müssen alle Häuptlinge von der Quelle bis zur Mündung des Flusses miteinander reden.

Dzuliferi Huhuteni, Schamanenlehrling

Auszug aus dem Buch „Der Sohn des Schamanen“

Traditioneller Fischfang in Hipana (c) Giorgio Palmera
Fisch ais de, Rio Ayario (c) Giorgio Palmera
Gefährliche Stromschnellen erschweren die Fahrt auf dem Ayari (c) Giorgio Palmera

Drogenschmuggler in Hipana

Ich weiß noch, wie mein Bruder Eduardo mir Ende der Siebzigerjahre erzählte: „Es gibt ein großes neues Geschäft in der Region, wir können nach Kolumbien ziehen und bei der Ernte der Kokasträucher halfen.“ Aber mir ist solche Arbeit zu viel. Ich bin dafür nicht gemacht. Früh aufstehen und sogar im Regen arbeiten gefällt mir nicht. Ich habe aber bis heute einen Kokastrauch in meinem Garten. In der Baniwa-Sprache nennen wir die Pflanze Hipatú. Nur wenige Huhuteni benutzen sie, doch in kann eine gute Medizin gegen Zahnschmerzen daraus machen. Sie wirkt auch gegen die Müdigkeit und hilft beim Auswendiglernen langer Benzimentos.

Ich weiß nicht, wie die Polizei damals von unseren Kokasträuchern erfuhr. Irgendwann Mitte der Achtzigerjahre kamen sie in unser Dorf. Acht Bundespolizisten stiegen unten am Wasserfall aus, sie kamen mit Booten, nicht im Helikopter. Im Dorf war schon Mittagszeit. Mittags sind die meisten Leute aber gar nicht zu Hause. Sie arbeiten draußen in ihren Gärten. Ein Leutnant war dabei, und er fragte mich: „Wo ist Carlos, der Kolumbianer? Und wo ist José Felipe?“

Diese zwei Personen wollten sie sprechen. José Felipe hat lange in Kolumbien gelebt, weil er bei den Händlern als Verladehelfer gearbeitet hat.

„José Felipe ist mein Schwager“, sagte ich den Polizisten.

„Und wo findne wir ihn?“

„In seinem Garten“, antwortete ich.

Dzuliferi Huhuteni, Schamanenlehrling

Auszug aus dem Buch „Der Sohn des Schamanen“

Rio Ayari (c) Giorgio Palmera

Die schönen Frauen von Hipana

„Die Frauen von Hipana sind schön. Viele von den jungen Männern kennen aber die alten Heiratsregeln nicht mehr, und ich finde, dass das eine Schande ist. Ich empfehle allen, die heute hier sitzen: Ein Huhuteni-Mann heiratet am besten imme eine Siusi-Frau! Aber diese jungen Männer reden lieber über die Mädchen aus dem eigenen Dorf, mit denen sie beim Bierfest tanzen. Um die Clanzugehörigkeit kümmert sich niemand mehr.“

Dzuliferi Huhuteni, Schamanenlehrling
Schminkvorbereitungen vor dem Tanzfest in Hipana
Der Fotograf Giorgio Palmera hat auf diesen Reisen umfangreiches Foto- und Filmmaterial aufgenommen. Medienorganisationen, die es benutzen wollen, können sich beim Verlag oder direkt bei Giorgio melden.

Wie die Kleider nach Hipana kamen

Als die ersten Missionare kamen, führten sie auch die Kleider ein. Ich glaube, dass die Patres irgendwo ein Lager voller Kleider hatten, jedenfalls brachten sie große Mengen Sachen zum Anziehen mit. Hier im Dorf wurden sie für jeden zurechtgenäht und passend gemacht. Sie brachten Kleider für Erwachsene und Kinder, in unterschiedlichen Farben, und am Ende bekam jeder von uns vier oder fünf Kleidungsstücke. Die Patres verkauften diese Kleider nicht, sondern alles wurde verschenkt. Also haben wir die Kleider sehr gemocht.

Es dauerte aber lange, bis wir die Kleider auch angezogen haben. Wir waren ja nicht daran gewöhnt. Vor allem mit den Hosen blieb es schwierig, und bis heute finden einige meiner Verwandten Hosen unbequem. Die Patres sagten, dass wir von nun an immer Hosen tragen sollten, und die meisten im Dorf stimmten ihnen zu. Unserer damaliger Häuptling, mein Großvater, war der gleichen Meinung wie die Missionare.

Ich erinnere mich noch daran, dass es gejuckt hat, Kleider zu tragen. Außerdem war es sehr warm. Hosen trocknen nicht gut, wenn man damit aus dem Wasser steigt. Deshalb haben wir in der ersten Zeit die Kleider wieder ausgezogen und auf den Boden geworfen. Aber wenn Pater José mit seinem Kanu zu uns kam, kontrollierte er streng die Kleiderfrage, und irgendwann gewöhnten wir uns daran. Nur mein Großvater, der Häuptling, hatte bis zum Ende keine Lust auf die Kleider. Als ich vielleicht zehn Jahre alt war, sagte er zu mit: „Verdammt noch mal, mein Enkel, dieser Pater José bringt uns ein besseres Leben, aber das ist etwas für euch junge Leute und nichts mehr für mich.“

Irgendwann haben die Patres ihm einen großen Bademantel mitgebracht, weil er ja der Häuptling war. So einen hatte sonst keiner im Dorf. Den Bademantel hat mein Großvater dann immer getragen, und an den Sonntagen, zum Gottesdienst in der Kapelle, zog er sich darunter sogar eine Hose an. Allmählich haben wir uns unserer alten Kleidung, der Gürtel mit der Unterhose dran, geschämt.

Dzuliferi Huhuteni, Schamanenlehrling

Auszug aus dem Buch „Der Sohn des Schamanen“

Sonntagsgottesdienst in Hipana (c) Giorgio Palmera
Kapelle in Hipana (c) Giorgio Palmera
Junge Frau bei der Kleiderwäsche in Hipana (c) Giorgio Palmera

Eine Drohne im Regenwald

Für die Kinder von Hipana gab überhaupt keinen Zweifel daran, was die größte Attraktion in ihrem Dorf geworden war: Giorgio Palmera, der Fotograf aus dem fernen Italien, mit seiner aufwändigen aber leider recht unberechenbaren Drohne. Giorgio stand meist schon um vier Uhr morgens auf, um das dunstige erste Sonnenlicht im Urwald einzufangen. Hinter ihm eine Kinderschar, die das Steuern des Geräts irgendwann gut hinbekam – die aber auch laufend über irgendwelche Bachläufe springen oder in irgendwelche Baumkronen klettern mussten, um die verlorengegangene Gerät wieder zurückzubringen. Der Einsatz hat sich aber gelohnt: Giorgio hat aus Hipana Aufnahmen mit einer ganz eigenen Magie mitgebracht.