Werden die Goldsucher die Fische vergiften?

Ich glaube, dass das Goldsuchen schnell außer Kontrolle geraten kann. Wenn einer in Hipana Gold oder Diamanten findet, meinst du nicht, dass es sich herumsprechen wird? Am Ayari-Fluss leben gar nicht genug Männer, um das ganze Gold aus der Erde zu holen. Also kommen erst kleine Gruppen aus anderen Orten an, dann kommende Tausende Männer, und du glaubst doch nicht etwa, dass sie sich in unseren Dörfern respektvoll verhalten?

Vielleicht tragen sie Waffen und stehlen unsere Mädchen. Sie ziehen in unsere Dörfer und richten ein riesiges Durcheinander an. Vielleicht wollen sie uns erschießen. Die Goldgräber wühlen den Boden der Flüsse auf, und sie verschmutzen das Wasser, bis die Fische nicht mehr kommen.

Also ist das eine Frage, die nicht nur Hipana betrifft. Wenn ein Dorf am Ayari das Goldgraben genehmigt, ist das eine wichtige Entscheidung über die Zukunft aller Dörfer. Dann müssen alle Häuptlinge von der Quelle bis zur Mündung des Flusses miteinander reden.

Dzuliferi Huhuteni, Schamanenlehrling

Auszug aus dem Buch „Der Sohn des Schamanen“

Traditioneller Fischfang in Hipana (c) Giorgio Palmera
Fisch ais de, Rio Ayario (c) Giorgio Palmera
Gefährliche Stromschnellen erschweren die Fahrt auf dem Ayari (c) Giorgio Palmera

„Du treibst nur irgendein Teufelszeug!“

Die Frau von Pastor Pedro war einmal bei uns, weil sie geheilt werden wollte. Nach außen beschimpfen sie uns, die Malirinai nennen sie Teufel. Aber wenn der Tod näher rückt, bringen sie ihre Kranken zu uns.

Ich glaube, dass sie es zuerst in ihren Kirchen versuchen. Sie beten zu Gott und bitten um Hilfe aus dem Himmel. In einigen Fällen reicht das aber nicht aus, und den Patienten geht es noch schlechter als vorher. Dann laden die Frauen ihre Kranken aufs Boot und fahren zu meinem Vater. Siehst du, wie verlogen diese Evangelischen sind? Meiner Meinung nach begehen sie große Sünden. Sie lassen sich von meinem Vater heilen und reden trotzdem schlecht über ihn.

„Hier ist kein Platz für dich“, haben sie mir auch schon gesagt, als ich Verwandte am Rio Içana besuchen wollte. „Wenn du bleibst, treibst du nur irgendein Teufelszeug.“

Ich glaube bloß nicht, dass solche Lügner in den Himmel kommen. Warum machen sie sich überhaupt die Mühe, in die Kirche zu gehen? Ich entgegne diesen Evangelischen immer: „Wenn ich der Teufel bin, treffen wir uns in der Hölle.“

Drogenschmuggler in Hipana

Ich weiß noch, wie mein Bruder Eduardo mir Ende der Siebzigerjahre erzählte: „Es gibt ein großes neues Geschäft in der Region, wir können nach Kolumbien ziehen und bei der Ernte der Kokasträucher halfen.“ Aber mir ist solche Arbeit zu viel. Ich bin dafür nicht gemacht. Früh aufstehen und sogar im Regen arbeiten gefällt mir nicht. Ich habe aber bis heute einen Kokastrauch in meinem Garten. In der Baniwa-Sprache nennen wir die Pflanze Hipatú. Nur wenige Huhuteni benutzen sie, doch in kann eine gute Medizin gegen Zahnschmerzen daraus machen. Sie wirkt auch gegen die Müdigkeit und hilft beim Auswendiglernen langer Benzimentos.

Ich weiß nicht, wie die Polizei damals von unseren Kokasträuchern erfuhr. Irgendwann Mitte der Achtzigerjahre kamen sie in unser Dorf. Acht Bundespolizisten stiegen unten am Wasserfall aus, sie kamen mit Booten, nicht im Helikopter. Im Dorf war schon Mittagszeit. Mittags sind die meisten Leute aber gar nicht zu Hause. Sie arbeiten draußen in ihren Gärten. Ein Leutnant war dabei, und er fragte mich: „Wo ist Carlos, der Kolumbianer? Und wo ist José Felipe?“

Diese zwei Personen wollten sie sprechen. José Felipe hat lange in Kolumbien gelebt, weil er bei den Händlern als Verladehelfer gearbeitet hat.

„José Felipe ist mein Schwager“, sagte ich den Polizisten.

„Und wo findne wir ihn?“

„In seinem Garten“, antwortete ich.

Dzuliferi Huhuteni, Schamanenlehrling

Auszug aus dem Buch „Der Sohn des Schamanen“

Rio Ayari (c) Giorgio Palmera

Auf der Reise in die Andere Welt

Du steigst immer weiter hinauf, auf Leitern aus Licht, die dich durch Universum führen, und diese Welt hier unten wird klein. Zu überwindest Hindernisse und wehrst Feinde ab, du musst an den Wächtern vorbei. Die ersten Wächter sehen wie Geier aus, danach attackieren dich weiße Vögel, die beim näheren Hinsehen weiß leuchtende Männer und Frauen sind. Sie sind schön, sie sehen gut aus, aber sie sind auch ein Hindernis und wollen dich vertreiben.

Auf manchen Reisen triffst du Verwandte, Großväter und Urgroßväter, die die Seelen verstorbener Malirinai sind. Einige helfen den Reisenden in der Anderen Welt voran, aber andere wollen das nicht. Bei der Ausbildung lernen die Malirinai von ihrem Lehrer, welche Wege sie nehmen müssen, um nicht verloren zu gehen. Sie wandern durch Häuser, Dörfer und Städte, und der Meister erklärt ihnen, wo sie sind.

Wenn du gut vorankommst, siehst du auf deiner Reise das Inferno. Wenn du weitergehen willst, musst du dort sterben. Du springst in ein Bad aus kochendem Baumharz, denn mit deinem Körper kannst du nicht weiter hinauf.

Du nimmst allen Mut zusammen und springst hinein.

Dzuliferi Huhuteni, Schamanenlehrling

Auszug aus dem Buch „Der Sohn des Schamanen“

Der Schamanenlehrling João aus Hipanas Nachbardorf Pana-Pana (c) Giorgio Palmera
Die Rassel eines Schamanen (c) Giorgio Palmera
Petroglyphen auf einem Felsen am Ayari-Fluss (c) Giorgio Palmera